Was ist psychisch krank?

Die Sicht der Patient*innen

„Ich komme mir vor, als sei mir der Sprit ausgegangen.“ – „Ständig geht mir etwas im Kopf herum, und wenn ich schlafe, bin ich trotzdem nicht ausgeruht.“ – „Ich bin ständig niedergeschlagen.“
Seelische Hochs und Tiefs kennt fast jeder. Die meisten Menschen kommen mit dem Auf und Ab ihres Seelenlebens sehr gut allein zurecht. Viele tauschen sich darüber mit dem/der Lebenspartner*in oder den Freund*innen aus und finden so wieder zu einem inneren Gleichgewicht. Manchmal reichen jedoch solche Gespräche mit vertrauten Personen nicht aus. Wenn eine psychische Krise über Wochen andauert, ist ein Gespräch mit einer Psychotherapeutin oder einem Psychotherapeuten ratsam. Psychotherapeut*innen sprechen mit Ihnen, um festzustellen, ob Sie psychisch krank sind. Eine psychische Krankheit kann vorliegen, wenn Sie beispielsweise dauerhaft ängstlich oder niedergeschlagen sind oder an körperlichen Beschwerden leiden, für die sich keine organischen Ursachen finden lassen.

Zum Beispiel: Depression

Eine Depression wird unter anderem dann diagnostiziert, wenn Sie über zwei Wochen lang an fast allen Tagen und die meiste Zeit des Tages niedergeschlagen sind oder kaum mehr Interesse oder Freude an fast allen Aktivitäten haben. Trennungen oder der Tod eines nahestehenden Menschen können starke Gefühle von Trauer, Niedergeschlagenheit, Verzweiflung oder auch Wut und Hilflosigkeit auslösen. Das ist eine normale psychische Reaktion. Die Phase, in der ein Mensch den Verlust eines anderen Menschen bewältigt, kann unterschiedlich lang andauern, durchaus auch länger als das so genannte „Trauerjahr“. Der Verlust schmerzt oft auch noch darüber hinaus, insbesondere dann, wenn die trauernde Person an den verlorenen Menschen denkt. Wichtig ist allerdings, dass die Intensität des Schmerzes oder der anderen Gefühle mit der Zeit abnimmt. Wenn dies nicht der Fall ist, wenn auch noch nach einer längeren Zeit die normalen Gefühle und das alltägliche Leben durch die Trauer stark geprägt und beeinträchtigt sind, ist es ratsam, sich Hilfe zu suchen.

Wenn Sie noch eingehender prüfen möchten, ob für Sie eine Psychotherapie infrage kommt oder nicht, helfen Ihnen vielleicht folgende Fragen weiter:

  • So kenne ich mich nicht! Fühle ich mich anders als sonst?
  • Beunruhigt mich diese Veränderung?
  • Gibt es eine Erklärung für die Veränderung?
  • Reicht diese nicht aus, um die Dauer und Heftigkeit der Beschwerden zu begründen?
  • Kann ich meine tägliche Arbeit nur noch mit Mühe verrichten?
  • Mache ich mir immer Sorgen und habe ich viel Angst?
  • Leide ich unter körperlichen Beschwerden?
  • Ist mein Schlaf gestört, schlafe ich zu wenig oder zu viel?
  • Fühle ich mich oft aggressiv, hasserfüllt, gereizt oder bin ich sehr intolerant?
  • Bin ich oft krankgeschrieben?
  • Habe ich Selbstmordgedanken?
  • Habe ich kaum noch Menschen, mit denen ich über meine Probleme sprechen kann?
  • Helfen Gespräche mit Freunden nicht mehr?
  • Fällt die Veränderung auch anderen deutlich auf?
  • Ist das schon länger als drei Monate so?
  • Ist mir das alles egal?

(Quelle: Rosemarie Piontek: Mut zur Veränderung. Methoden und Möglichkeiten der Psychotherapie. Bonn, 2009.)

Die Sicht der Psychotherapeut*innen

Psychotherapeut*innen sprechen von psychischen Störungen, um zu beschreiben, wie Personen darunter leiden, dass sie anders denken, fühlen oder handeln als die meisten anderen Menschen. Das kann sich darin ausdrücken, dass die Person bestimmte Gefühle, z.B. Freude, Liebe, nicht mehr frei empfinden kann, dass andere Gefühle wie Angst oder Traurigkeit das eigene Leben maßgeblich bestimmen oder dass Sie extremen Gefühlsschwankungen ausgesetzt sind. Auch das Denken, die Konzentrationsfähigkeit oder die Fähigkeit, zu entscheiden und zu handeln, können als stark eingeschränkt oder wenig kontrollierbar erlebt werden. Psychische Störungen können sich aber auch in Form körperlicher Beschwerden, wie Verspannungen, Müdigkeit, Schmerzen, Schlaflosigkeit ausdrücken.
Typische Eigenschaften von psychischen Störungen sind, das

  • sie sehr eingeschränkt willentlich zu steuern sind,
  • sie länger dauern,
  • sie Leiden verursachen,
  • sie das Leben beeinträchtigen (Beruf, Partnerschaft, Familie),
  • sie nicht selten lebensgefährlich sind (Magersucht, Selbstmordgefahr).

Die wissenschaftliche Sicht

In Deutschland ist die „Internationale Klassifikation von Krankheiten“ der Weltgesundheitsorganisation (WHO) das verbindliche System zur Diagnose körperlicher und psychischer Erkrankungen. Dort werden die psychischen Krankheiten beschrieben. Die verschiedenen psychischen Störungen werden danach unterschieden, an welchen aktuellen Symptomen ein*e Patient*in leidet. In vielen Fällen liegen bei Patient*innen mehrere psychische Störungen gleichzeitig vor. Die Einteilung der psychischen Störungen richtet sich also nicht nach den Ursachen und Entstehungsbedingungen einer Erkrankung, sondern nach den Beschwerden (den sog. Symptomen) unter denen die Patient*innen leiden.

Was sagt die Diagnose?

Psychotherapeut*innen stellen aufgrund der Symptome, an denen Patient*innen leiden, fest, ob eine psychische Störung besteht und um welche psychische Erkrankung es sich handelt. Nachdem Patient*innen ihre Beschwerden geschildert haben, werden Psychotherapeut*innen hierzu in einem oder mehreren Gesprächen, gezielt Fragen nach bestimmten psychischen und körperlichen Symptomen stellen. Ergänzend werden Patient*innenen oft gebeten, Fragebögen zur Lebens- und Krankheitsgeschichte sowie zu bestimmten Symptomen und Problemen auszufüllen.
Die Diagnose ist für beide Seiten wichtig: Die Diagnose ist für Therapeut*innen für die weitere Behandlungsplanung von Bedeutung. In einem ersten Schritt können Therapeut*innen mit Patient*innen ein Verständnis für die Art der psychischen Störung erarbeiten. Darauf aufbauend können dann die geeigneten Behandlungsmöglichkeiten besprochen werden. Für Patient*innen, die sich häufig selbst nicht mehr verstehen, kann diese erste Beurteilung der Krankheit Halt und Hoffnung bedeuteten. Sie kann der Wendepunkt in einer oft schon längeren Leidensgeschichte sein. Es wird zugleich deutlich, dass eine Besserung möglich ist. Dadurch, dass die psychische Störung einen Namen bekommt, wissen OPatient*innen auch genauer, woran sie sind. Sie sich können sich über die Erkrankung besser informieren und können z.B. in Selbsthilfegruppen andere Personen finden, denen es ähnlich geht.
Diagnosen können aber auch beunruhigen, in dem Gefühl auf etwas festgeschrieben oder gebrandmarkt zu sein. Immer noch werden in unserer Gesellschaft Menschen mit psychischen Störungen ausgegrenzt . Es bestehen viele Vorurteile und häufig falsche Vorstellungen darüber, was psychisch krank bedeutet: „die spinnen“, „die sind verrückt“, sind verbreitete Einstellungen. Bei genauerem Blick stehen dahinter in der Regel die eigenen Ängste, selbst einmal psychisch krank zu werden und der Wunsch, möglichst alles, was mit psychischer Krankheit zu tun hat nicht an sich heranzulassen.
Sie sollten, wenn Sie Zweifel an der Bedeutung und den Auswirkungen ihrer Diagnose haben, unmittelbar mit Ihrem Therapeuten/Ihrer Therapeutin darüber sprechen. Er/Sie kann Ihnen dann auch erklären, wie die Diagnose einer psychischen Störung zu verstehen ist: als wissenschaftliche begründete Annahme über die Art ihrer psychischen Beschwerden und den wahrscheinlichen Verlauf – mit und ohne Therapie. Eine Diagnose ist dabei keine endgültige Festlegung. Ziel einer jeder psychotherapeutischen Behandlung ist es letztlich, wieder einen Zustand zu erreichen, dass Ihre psychischen Beschwerden so weit gebessert sind, dass der Psychotherapeut/die Psychotherapeutin nicht mehr von einer psychischen Störung spricht.
Die psychische Störung kann dabei sehr unterschiedliche Entstehungsbedingungen haben. Meist spielen mehrere Faktoren eine wichtige Rolle. Dabei kann es sich zum Beispiel um frühe kindliche Erfahrungen, chronische familiäre oder berufliche Belastungen, genetische Vorbelastungen, chronische körperliche Erkrankungen, ungünstige soziale Lebensbedingungen oder akute belastende Ereignisse handeln. Das Verständnis für die Bedingungen, die zum Entstehen und zur Aufrechterhaltung der psychischen Störungen geführt haben, wird im Verlauf der Therapie weiter vertieft.

Psychische Störungen

Nationale und internationale Studien haben seit den 1990er Jahren verdeutlicht, dass psychische Erkrankungen weitaus häufiger sind als früher angenommen. Nach den derzeit verfügbaren Daten für Deutschland leidet knapp ein Drittel der deutschen Bevölkerung im Verlauf eines Jahres an einer psychischen Erkrankung. Dabei zählen depressive Erkrankungen und Angststörungen zu den häufigsten Erkrankungen.
Bei nahezu allen psychischen Erkrankungen ist die Psychotherapie ein zentraler, in seiner Wirksamkeit gut belegter Behandlungsansatz. Je nach Art und Schwere einer psychischen Erkrankung kann ggf. zusätzlich eine Pharmakotherapie sinnvoll oder erforderlich sein.

Hierzu ein informativer Überblick:

https://bptk.de/psychische-krankheiten/

Und hier einige Informationen zu psychologischem Wissen insgesamt:

https://leibniz-psychology.org/news/detail/psychologisches-wissen-fuer-alle